Entscheidungsdetails 2017

BGH, Urteil vom 23. 11. 2017 – III ZR 60/16 - Beweislastumkehr bei grob fahrlässigem Pflichtverstoß von Aufsichtspersonal von Schwimmbädern


Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem Urteil vom 23. November 2017 (III ZR 60/16) die Überwachungs- und Rettungspflichten von Personen konkretisiert, die mit der Aufsicht in Schwimmbädern betraut sind. Weiterhin hat er klargestellt, dass bei grob fahrlässigen Pflichtverstößen des Aufsichtspersonals der Schadensersatzpflichtige die Beweislast für die fehlende Ursächlichkeit der Pflichtverletzungen für Gesundheitsschäden des Badegastes trägt.

 

Zwar besteht keine Verpflichtung zur lückenlosen Beobachtung eines jeden Schwimmers. Die Schwimmaufsicht ist jedoch verpflichtet, den Badebetrieb und damit auch das Geschehen im Wasser fortlaufend zu beobachten und mit regelmäßigen Kontrollblicken daraufhin zu überwachen, ob Gefahrensituationen für die Badegäste auftreten. Dabei ist der Beobachtungsort so wählen, dass der gesamte Schwimm- und Sprungbereich überwacht werden kann, was gegebenenfalls häufigere Standortwechsel erfordert. Zu den Aufgaben der Aufsichtspersonen in einem Schwimmbad gehört es weiter, in Notfällen für rasche und wirksame Hilfeleistung zu sorgen.

Das Urteil hat indirekt auch Auswirkungen auf den medizinischen Bereich, da bspw. in Reha-Einrichtungen auch Schwimmbäder betrieben werden, in denen häufig auch eine entsprechende Schwimmaufsicht tätig ist.

 

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BGH, Beschluss vom 7.11.2017 - VI ZR 173/17

 

Das Gericht verletzt den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, wenn es bei seiner Annahme, ein Behandlungsfehler sei nicht als grober Fehler anzusehen, von der Partei vorgetragene, für die Bewertung des Behandlungsgeschehens erhebliche Umstände übergeht (hier: Vortrag dahin, der Fehler beruhe auf einem Organisations- bzw. Übertragungsfehler, nicht auf einer Abwägung der Chancen und Risiken der unterbliebenen Befundung).

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom  13.10.2017 – 8 W 13/17

Der Streitwert einer isolierten Klage auf Herausgabe von Kopien der Behandlungsunterlagen zur Vorbereitung eines Arzthaftungsprozesses ist bei Fehlen besonderer Umstände mit 1/5 des Streitwertes der in Aussicht genommenen Arzthaftungsklage zu bemessen.

 

Der Streitwert der Herausgabeklage bemisst sich nach einem 1/5 des Wertes, den die in Aussicht genommene Haftungsklage hat. Im entschiedenen Fall wurde der Streitwert für die isolierte Herausgabeklage auf 12.000,00 € festgesetzt, so dass die Gesamtkosten des erstinstanzlichen Verfahrens schon über 4.000,00 € betragen können. Für die Klage einer gesetzlichen Krankenkasse auf Ersatz der entstandenen Behandlungskosten kann insoweit nichts anderes gelten.
Es war nicht zu entscheiden ist, wie der Streitwert für die Herausgabe zu bemessen ist, wenn der Herausgabeantrag einerseits und der Zahlungs- oder Feststellungsantrag andererseits im Wege der Klagehäufung miteinander verbunden werden.

BSG, Urteil vom 11.10.2017 - B 6 KA 38/16 R - Keine Zulassung für Neugründungs-MVZ durch Verlegung von Arztanstellungen

 

Nach Auffassung des BSG kann durch die Verlegung von Arztanstellungen auf der Grundlage des § 24 Abs 7 Satz 2 Ärzte-ZV kein neuer Zulassungsstatus begründet werden. Die durch das Versorgungsstrukturgesetz im Juli 2015 eingeführte Vorschrift ermöglicht die Verlegung von Arztanstellungen von einem MVZ in ein anderes MVZ desselben Betreibers oder einer anderen Betreibergesellschaft mit denselben Gesellschaftern.

 

Nach Wortlaut, systematischer Stellung und Entstehungsgeschichte kann die Norm keine Grundlage für die Schaffung eines neuen, zusätzlichen Zulassungsstatus sein. Insoweit ist ohne Bedeutung, dass die von der Klägerin gewollte neue Zulassung keine Erhöhung der Überversorgung zur Folge haben und in diesem Sinne bedarfsplanungsrechtlich neutral wäre.
 
Auch eine entsprechende Anwendung des § 103 Abs 4a Satz 1 SGB V trägt das Begehren der Klägerin nicht. Die Klägerin verzichtet nicht im Sinne dieser Vorschrift auf ihre Zulassung, schon weil eine Tätigkeit eines MVZ "im Anstellungsverhältnis" nicht möglich ist.

 

Die Entscheidung ist stark umstritten, da nach Auffassung der Befürworter es gerade die Intention des Gesetzgeber gewesen sei, die Flexibilität bei der Neugründung eines MVZ zu stärken und eine Gleichstellung bei der Zulassung von MVZ und Einzelpraxen zu bewirken. Die Gegner argumentieren im wesentlichen, dass die Verlegung von Arztstellen zwecks Neugründung eines MVZ eine Besserstellung und gerade keine Gleichstellung bedeute.

 

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BSG, Urteil vom 11.10.2017, B 6 KA 26/16R, strenge Akzessorietät zwischen MVZ-Zulassung und Arztsitz

 

Dieses Urteil zeigt, dass für angestellte Ärztinnen und Ärzte eines MVZ, die sich auch eine freiberufliche Tätigkeit vorstellen können, dringend angeraten ist, arbeitsvertragliche Regelungen bzgl. der Umwandlung des Angestelltensitzes in eine Einzelzulassung für den Falle der Insolvenz vorzusehen. Denn der Angestelltensitz liegt im Eigentumsbereich des MVZ, so dass auch nur dieser einen entsprechenden Antrag stellen kann andernfalls gehen die Arztsitze unter, so dass ein entsprechend langwierige und ergebnisoffene Neuzulassung erforderlich wird. Gleichwohl dürfte es in der Praxis künftig mit Blick auf das Insolvenz- und Strafrecht schwierig werden entsprechende Klauseln gerichtsfest zu formulieren.

 

Wenn ein MVZ als Anstellungsträger wegen Insolvenz nicht mehr über eine Zulassung verfügt, bestehen auch die Anstellungsgenehmigungen nicht mehr fort, die in Zulassungen umgewandelt werden könnten. Nur bei der Beendigung der Zulassung eines Vertragsarztes kommt ein Fortbestand in Betracht, wenn noch ein Nachbesetzungsrecht besteht. Diese Ausnahme kann nicht auf das MVZ übertragen werden, weil ein MVZ selbst nicht nachbesetzt werden kann.
 
Die Anträge des MVZ auf Umwandlung einer genehmigten Anstellung in eine Zulassung nach § 95 Abs. 9b in Verbindung mit § 103 Abs. 4a Satz 4 SGB V können wirksam nur gestellt werden, solange das MVZ auch noch zugelassen ist. Im entschiedenen Fall war das nach dem 30.06.2012 nicht mehr der Fall, weil das MVZ mit Wirkung von diesem Tag an im Sinne des § 95 Abs. 7 Satz 2 SGB V die Zulassung infolge Auflösung verloren hat. Ab dem 30.06.2012 sind im MVZ keine Patienten mehr versorgt worden, die Anstellungsverhältnisse der Ärztinnen und Ärzte sind gekündigt worden und es bestand keine Absicht mehr, weiterhin vertragsärztlich tätig zu werden. Es sollte nur noch eine "Verwertung" der Anstellungen erfolgen.
 
Im Übrigen habe das LSG richtig entschieden, dass der beigeladene Insolvenzverwalter nicht kraft seines Amtes berechtigt war, die Umwandlung der Arztanstellungen in Zulassungen zu beantragen. Das Antragsrecht fällt - ebenso wie die Zulassung selbst - nicht in die Insolvenzmasse. 

 

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BGH, Beschluss vom 26. 9. 2017 – VI ZR 529/16 - Zu Verbrennungen des Patienten durch atypischen Stromfluss bei der Verwendung eines Hochfrequenzgeräts

 

Prozessual hatte der BGH über eine Nichtzulassungsbeschwerde zu entscheiden. In deren Rahmen wurde das Urteil des Berufungsgerichts (OLG Hamm Urt. v. 4. 11.2016 – I-26 U 67/13) aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an selbiges zurückverwiesen. 

 

Heutzutage kommen Verbrennungen insbesondere auch im Rahmen der sog. Hochfrequenzchirurgie vor. Mit Hilfe von elektrischer Energie, die in Wärme umgewandelt wird, kann der Operateur biologisches Gewebe schneiden und Blutungen stillen. Die Operationsdauer ist kürzer, ein schonenderes Operieren möglich. Durch Erhitzung des geschnittenen Gewebes wird der Blutfluss thermisch verödet, so dass ein erhöhter Blutverlust vermieden wird. Es werden bei der Hochfrequenzchirurgie sowohl die monopolare und die bipolare Technik angewendet. Sie unterscheiden sich lediglich durch den Weg, den der Strom durch den Körper des Patienten nimmt.

 

Entscheidend ist: Der Strom, der in den Körper beim Operieren eingeleitet wird, muss durch eine Neutralelektrode, die beispielsweise am Bein anzubringen ist, kontrolliert ausgeleitet werden. Besteht Kontakt zum OP-Tisch mit Rücken oder Gesäß, wird der Strom über den stählernen OP-Tisch ungewollt abgeleitet. Hierdurch kommt es zu den folgeschweren Verbrennungen. Kann es nach Angaben eines gerichtlichen Sachverständigen nur bei nicht ordnungsgemäßer Lagerung des Patienten zu einem ungewollten Stromfluss vom Behandlungsgerät aus dem Körper des Patienten und somit zu einer Verbrennung der Haut kommen und können die behandelnden Ärzte einen solchen Stromabfluss grundsätzlich durch Verwendung einer nicht leitfähige Matte vermeiden, so muss das Gericht diesen Punkt klären, was das OLG Hamm hier zunächst unterlassen hat. Auch muss das Gericht bei seiner erneuten Entscheidung berücksichtigen, dass nach Operationen entstandene Lagerungsschäden grundsätzlich als vollbeherrschbar gelten. Der BGH hat den Rechtsstreit daher zur erneuten Entscheidung an das OLG Hamm zurück verwiesen.

 

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BVerfG, Beschluss vom 1.8.2017 – 2 BvR 3068/14

Verletzung des Anspruchs auf (Art 103 Abs. 1 GG) im Zivilprozess durch abweichende Würdigung einer erstinstanzlichen Parteianhörung in der Berufungsinstanz ohne vorherigen Hinweis oder erneute Gewährung rechtlichen Gehörs - reduzierte Substantiierungsanforderungen (§§ 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG) bei auf der Hand liegender Grundrechtsverletzung

 

Ein Augenarzt hat sich als Beschwerdeführer und Beklagter im Ausgangsverfahren mit seiner einen Arzthaftungsprozess betreffenden Verfassungsbeschwerde erfolgreich gegen die abweichende Würdigung seiner in erster Instanz erfolgten Parteianhörung durch das Berufungsgericht ohne erneute Anhörung gewendet. Die angegriffene Entscheidung verletzte Art. 103 Abs. 1 GG in zweierlei Hinsicht, da weder ersichtlich sei, dass das OLG auf seine Absicht hingewiesen habe, von der Beweiswürdigung des LG abzuweichen. Ein Berufungsbeklagter könne aber grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihm das Berufungsgericht, wenn es in der Beweiswürdigung dem Erstrichter nicht folgen will, rechtzeitig einen Hinweis gemäß § 139 ZPO erteilt. Noch habe das OLG von einer neuerlichen Anhörung oder Vernehmung der Parteiin Betracht gezogen. Obgleich eine neue Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht im Fall des Beweises durch eine Vernehmung als Partei regelmäßig die Durchführung einer erneuten Vernehmung erfordere.

BGH, Beschluss vom 25.7.2017 - 5 StR 46/17 „Kick-back“ Geschäfte

 

Ein Apotheker wurde wegen Betrugs verurteilt, weil dieser Kick-Back-Zahlungen an einen Arzt geleistet hatte und sich an der Bestellung und Abrechnung von Kontrastmittelmengen beteiligt hatte, die nicht benötigt wurden.

 

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OLG Hamm, Urteil vom 14.7.2017 - 26 U 117 / 16 „Anspruch des Patienten auf Herausgabe von Namen und Anschrift des Behandlers“


Grundsätzlich haben die Patienten zwar einen Anspruch auf Einsichtnahme in die ihn betreffende der Patientendokumentation gem. § 630g BGB. Namen und Anschriften der behandelnden Ärzte muss das Krankenhaus aber nur bei Darlegung eines berechtigten Interesses mitteilen. Ein berechtigtes Interesse würde nur unter engen Voraussetzungen vorliegen.

 

Hierfür ist zumindest schlüssig darzulegen, dass die Ärzte als Anspruchsgegner wegen eines Behandlungs- oder Aufklärungsfehlers oder als Zeugen einer Falschbehandlung in Betracht kämen und sich allein aus den überlassenen Behandlungsakten nicht genügend Informationen für eine solche Inanspruchnahme ergeben würden.

 

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EuGH Urt. v. 21.6.2017 –  C - 621/15

Nationale Gesetze dürfen Patienten in Schadenersatzprozessen gegen Pharmaunternehmen die Beweisführung erleichtern.

 

Ein „Bündel ernsthafter, klarer und übereinstimmender Indizien“ kann ausreichen, um die Haftung für ein Arzneimittel zu begründen. Hintergrund ist ein Fall aus Frankreich. Dort war ein Mann nach einer Impfung gegen Hepatitis B an Multipler Sklerose erkrankt und gestorben. Seine Familie verklagte den Hersteller des Impfstoffs Sanofi Pasteurs. Die französischen Gerichte stellten fest, dass es keinen wissenschaftlichen Konsens gebe, auf den ein Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung des Mannes an Multipler Sklerose gestützt werden könne.Das französische Recht erleichtert Patienten die Beweisführung in solchen Fällen. Demnach kann ein Zusammenhang vermutet werden, wenn eine Krankheit kurz nach Einnahme des Arzneimittels auftritt und weder der Patient noch ein Familienmitglied an einer relevanten Vorerkrankung litt. Es wird ein Indizienbündel gefordert, das einen Zusammenhang zwischen Medikament und einer späteren Erkrankung mit „einem hinreichend hohen Grad an Wahrscheinlichkeit“ nahelegt. Andernfalls wäre es für Patienten „übermäßig schwierig“, wenn nicht „gar unmöglich“ Pharmaunternehmen in Anspruch zu nehmen. Beweiserleichterungen dürften aber nicht so weit gehen, dass „automatisch“ ein Zusammenhang zwischen Medikament und Erkrankung vermutet werde. Auch in Deutschland gibt es eine Beweiserleichterung für Patienten nach dem Arzneimittelgesetz. Demnach wird vermutet, dass ein Arzneimittel eine Erkrankung verursacht hat, wenn es im Einzelfall dazu „geeignet“ ist.  Das EuGH-Urteil. kann auch Auswirkungen auf persönliche Ansprüche wie Schmerzensgeld vor einem Zivilgericht haben: Bislang war hier eine strenge Beweisführung gefordert. Doch die aktuelle Entscheidung dürfte es Patienten und ihren Angehörigen leichter machen, sollten sie klagen. „Nach bisheriger Rechtsprechung musste ein Geschädigter beweisen, dass er erstens einen Schaden erlitten hat, der sich nicht zuvor zeigte. Und zweitens musste die Kausalität zwischen Impfung und dem bei ihm eingetretenen Schaden belegt werden.“ (Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Rudolf Ratzel in der FAZ v.  3.7.2017)

BGH, Urteil vom 11.5.2017 – III ZR 92/16 „Unzureichend besetzter Hausnotruf"

 

Wer eine besondere Berufs- oder Organisationspflicht, die dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer dient, grob vernachlässigt hat, kann nach Treu und Glauben die Folgen der Ungewissheit, ob der Schaden abwendbar war, nicht dem Geschädigten aufbürden. In derartigen Fällen ist die regelmäßige Beweislastverteilung dem Geschädigten nicht zuzumuten. Der seine Pflichten grob Vernachlässigende muss daher die Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler beweisen, die allgemein als geeignet anzusehen sind, einen Schaden nach Art des eingetretenen herbeizuführen (Bestätigung und Fortführung von BGH, Urteile vom 13. März 1962 - VI ZR 142/61, NJW 1962, 959 f und vom 10. November 1970 - VI ZR 83/69, NJW 1971, 241, 243).

 

Ein 78-jähriger Mann nahm an einem von einer gemeinnützigen Einrichtung angebotenen und entgeltlich ausgestaltetem Hausnotruf teil.

 

Der dem Notruf zugrunde liegende „Dienstleistungsvertrag zur Teilnahme am Hausnotruf“  beinhaltete, dass: „Das Hausnotrufgerät an eine ständig besetzte Zentrale angeschlossen wird. Von dieser Zentrale wird im Fall eines Notrufs unverzüglich eine angemessene Hilfeleistung vermittelt (z.B. durch vereinbarte Schlüsseladressen, Rettungsdienst, Hausarzt, Schlüsseldienst).“

 

Als es dem Mann gelang, trotz einer Notlage, den Notruf auszulösen, wurde nach vergeblichen Versuchen, den Teilnehmer telefonisch zurückzurufen, von der Zentrale  des Notrufes veranlasst, dass sich zwei Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes zu der Wohnung begaben. Sie fanden den Mann am Boden liegend vor. Es gelang ihnen, den übergewichtigen Mann aufzurichten und auf eine Couch zu setzen. Sodann ließen ihn die beiden allein in der Wohnung zurück. Eine ärztliche Versorgung wurde nicht veranlasst. zu veranlassen.
Allerdings hatte der Mann einen schweren Schlaganfall erlitten.

 

Der Bundesgerichtshof ließ  keinen Zweifel, dass der Betreiber des Hausnotrufdienstes seine vertraglichen Pflichten grob vernachlässigt hatte. In einer dermaßen dramatischen Situation stelle die Entsendung von medizinisch nicht geschultem, lediglich in Erster Hilfe ausgebildetem Personal eines Sicherheitsdienstes keine „angemessene Hilfeleistung“ im Sinne des Hausnotrufvertrags dar. Hinsichtlich der Folgen führt dies – wie im Arzthaftungsrecht bei einem groben Behandlungsfehler – zur Umkehr der Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem Gesundheitsschaden.

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BGH, Beschl. v. 3.5.2017 - XII ZB 157/16

Leitsatzentscheidung: Auch eine Standardimpfung bei Minderjährigen bedarf der Zustimmung beider Elternteile.

 

1. Die Schutzimpfung eines Kindes ist auch dann eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind, wenn es sich um eine sogenannte Standard- oder Routineimpfung handelt.

 

2. Bei Uneinigkeit der Eltern über die Durchführung einer solchen Impfung kann die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut befürwortet, jedenfalls dann übertragen werden, wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen.

 

3. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung und Abwägung der allgemeinen Infektions- und Impfrisiken ist hierfür nicht erforderlich.

 

Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die gemeinsam sorgeberechtigten nichtehelichen Eltern ihrer im Juni 2012 geborenen Tochter. Diese lebt bei der Mutter.
Zwischen den Eltern besteht Uneinigkeit über die Notwendigkeit von Schutzimpfungen für ihre Tochter. Der Vater befürwortet die Durchführung der altersentsprechenden Schutzimpfungen, die durch die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) empfohlen werden. Die Mutter ist der Meinung, das Risiko von Impfschäden wiege schwerer als das allgemeine Infektionsrisiko. Das Amtsgericht hat dem Vater das Entscheidungsrecht über die Durchführung von Impfungen übertragen. Auf die Beschwerde der Mutter hat das Oberlandesgericht es bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den Vater belassen, diese aber auf Schutzimpfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Pneumokokken, Rotaviren, Meningokokken C, Masern, Mumps und Röteln beschränkt.
Die Rechtsbeschwerde der Mutter blieb ohne Erfolg. Die Entscheidungskompetenz ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird. Die Durchführung von Schutzimpfungen stellt keine alltägliche Angelegenheit dar, welche nach § 1687 Abs. 1 BGB in die Entscheidungsbefugnis des Elternteils fiele, bei dem sich das Kind aufhält, sondern eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind. Bei Impfungen handelt es sich bereits nicht um Entscheidungen, die als Alltagsangelegenheiten häufig vorkommen. Die Entscheidung, ob das Kind während der Minderjährigkeit gegen eine bestimmte Infektionskrankheit geimpft werden soll, fällt im Gegensatz zu Angelegenheiten des täglichen Lebens regelmäßig nur einmal an. Das OLG hat den Vater mit Recht als besser geeignet angesehen, um über die Durchführung der aufgezählten Impfungen des Kindes zu entscheiden. Es hat hierfür in zulässiger Weise darauf abgestellt, dass der Vater seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert. Die Impfempfehlungen der STIKO sind vom Bundesgerichtshof bereits als medizinischer Standard anerkannt worden. Die von der Mutter erhobenen Vorbehalte, die aus ihrer Befürchtung einer "unheilvollen Lobbyarbeit von Pharmaindustrie und der Ärzteschaft" resultieren, musste das Oberlandesgericht dagegen nicht zum Anlass für die Einholung eines gesonderten Sachverständigengutachtens über allgemeine Impfrisiken nehmen.

 

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BGH Urt. v. 11.04.2017 - Az: VI ZR 576/15

Leitsatzentscheidung zur Abgrenzung zw. Befunderhebungsfehler und der therapeutischen Aufklärung mit der Folge der unterschiedlichen Beweis- und Darlegungslast.

 

Beim Verdacht auf eine schwere Erkrankung sollten sich Ärzte nicht allein auf eine Mitteilung an den Patienten verlassen

 

1. Auch  bei  grundsätzlicher  Teilbarkeit  des  Streitgegenstandes  darf  ein Teilurteil nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen  ausgeschlossen  ist  (st.Rspr.).  In  diesem  Zusammenhang
liegt ein Grundurteil über den noch ausstehenden Teil nur vor, wenn die Grundentscheidung  entweder  in  der  Urteilsformel  enthalten  ist  oder  aus den  Entscheidungsgründen  so  deutlich  wird,  dass  eine  Berichtigung  der Urteilsformel  erfolgen  kann.  Die  bloße  Bezeichnung  als  "Grund- und Teilurteil" im Rubrum genügt dagegen nicht.

2. Zur  Abgrenzung  zwischen  einem  ärztlichen  Befunderhebungsfehler  und einem  Fehler  der  therapeutischen  Aufklärung  (Anschluss  Senatsurteil vom 17. November 2015 VI ZR 476/14, VersR 2016, 260)

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BGH, Urteil vom 29. März 2017 - IV ZR 533/15 -

Die Kosten einer Lasik-Operation kann durch die private Krankenversicherung erstattungsfähig sein

 

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass eine Fehlsichtigkeit auf beiden Augen von -3 bzw. -2,75 Dioptrien eine Krankheit im Sinne von § 1 Abs. 2 der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustaggeldversicherung darstellt und der private Krankenversicherer deshalb bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen auch die Kosten einer Lasik-Operation zur Beseitigung dieser Fehlsichtigkeit tragen muss.

 

In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin, die eine solche Operation erfolgreich hatte durchführen lassen, die Erstattung der dafür angefallenen Kosten in Höhe von rund 3.500 €.


In § 1 Abs. 2 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die insoweit den Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK) entsprechen, heißt es:
"Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen (…)."


Die Klage war in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Landgericht als Berufungsgericht hat im Anschluss an Ausführungen des vom Amtsgericht beauftragten medizinischen Sachverständigen angenommen, dass es bereits an einer bedingungsgemäßen Krankheit fehle, weil vom Vorliegen einer Krankheit bei einer Fehlsichtigkeit nur gesprochen werden könne, wenn eine Abweichung vom natürlichen körperlichen Zustand der versicherten Person vorliege, die nicht dem normalen Entwicklungs- oder Alterungsprozess entspreche. Nach den Ausführungen des Sachverständigen seien 30 - 40 % der Menschen im mittleren Alter kurzsichtig und werde von einer pathologischen Myopie nach internationalem Standard erst ab -6 Dioptrien gesprochen. Auch sei der Klägerin das Tragen einer Brille möglich und zumutbar gewesen.


Der Bundesgerichtshof hat demgegenüber klargestellt, dass es für den Krankheitsbegriff in Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht auf das Verständnis in medizinischen Fachkreisen, sondern auf das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ankommt, der davon ausgehen wird, dass zum Normalzustand der Sehfähigkeit ein beschwerdefreies Lesen und eine gefahrenfreie Teilnahme am Straßenverkehr gehört; er wird das Vorliegen einer bedingungsgemäßen Krankheit annehmen, wenn bei ihm eine nicht nur ganz geringfügige Beeinträchtigung dieser körperlichen Normalfunktion vorliegt, die ohne Korrektur ein beschwerdefreies Sehen nicht ermöglicht. Die Korrekturbedürftigkeit der bei der Klägerin vorliegenden Kurzsichtigkeit und die medizinische Indikation für deren Behandlung hatte auch der Sachverständige im Streitfall bejaht.


Der Bundesgerichtshof hat den Rechtsstreit zur Prüfung der weiteren Frage, ob die durchgeführte Operation eine medizinisch notwendige Heilbehandlung darstellte, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Quelle: Pressemitteilung BGH

OLG Hamm, Urteil vom 21.3.2017 – 26 U 122/09

"grober Behandlungsfehler bei unterlassener Bluttransfusion"

 

Die zum Zeit des Eingriffs 47-jährige Klägerin hatte eine Gebärmutterspiegelung durchführen lassen. Bei der Einweisung bestand eine ausgeprägte Anämie mit einem Hb-Wert von 7,5 g/dl. Während des Eingriffs kam es zu einem starken Abfall des Blutdrucks und der Blutsauerstoffsättigung der Klägerin. Es folgte eine Reanimation, die Klägerin wurde auf einer Intensivstation weiter behandelt. Sie erlitt jedoch einen hypoxischen Hirnschaden mit Lähmungen, Sprach- und Schluckstörungen sowie erheblichen Hirnleistungsstörungen.

 

Erreicht der HB-Wert bei einer reanimierten Patientin den Bereich von 6 g/dl oder wird dieser Wert unterschritten, entspricht es dem medizinischen Standard, unverzüglich eine Bluttransfusion durchzuführen. Das Unterlassen einer Bluttransfusion kann als grober Behandlungsfehler zu werten sein, wenn das klinische Gesamtbild der Patientin für eine absolute Indikation spricht. Die Klägerin lag nach Komplikationen im Rahmen einer Gebärmutteroperation zweieinhalb Wochen im Koma. Seither ist sie wegen eines aufgrund Sauerstoffunterversorgung erlittenen Hirnschadens ein Schwerstpflegefall. Sie ist stark körperlich und geistig behindert und dauerhaft auf fremde Hilfe und Pflege angewiesen. Das Berufungsgericht stellte nach Klageabweisung in erster Instanz eine grob fehlerhafte Behandlung der Patientin fest.

 

Das Gericht befand, dass bei  einem hypoxischen Hirnschaden nebst Spasmen, Sprach- und Schluckstörungen sowie erheblichen Hirnleistungsstörungen ein Schmerzensgeld von 500.000 € angemessen ist.

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Bundesgerichtshof (Senat für Anwaltssachen), Urteil vom 20.03.2017 – AnwZ (Brfg) 11/16

Fachanwaltstitel "Medizinrecht" bezieht sich auf Humanmedizin

 

Die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung für Medizinrecht ist nicht möglich, wenn der Antragsteller nahezu ausschließlich Rechtsfälle aus dem Bereich der Veterinärmedizin bearbeitet hat.
Vorausgehend: Anwaltsgerichtshof Frankfurt a. M., Urt. v. 22.01.2016 - 2 AGH 11/14 - RID 16-02-371.

 

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LG Freiburg, Urteil vom 24.2.2017, 6 O 359/10 - Zur Verantwortlichkeit des Herstellers für fehlerhafte Durom-Metasul-LDH-Prothesen

 

Wenn alle wesentlichen Faktoren, die für eine fehlerhaften Produktes maßgeblich sein können, im Verantwortungsbereich des Herstellers liegen, so ist dieser für den Fehler des Produkts auch dann verantwortlich, wenn sich isoliert für keine einzelne Ursachen der sichere Nachweis der Ursächlichkeit führen lässt und der Fehler nicht bei allen Produkten der Reihe auftritt.


Die Haftung ist nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG nicht ausgeschlossen, wenn die potenzielle Gefährlichkeit des Produkts zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Produkts (nicht des erstmaligen Inverkehrbringens der Produktreihe) nach dem neuesten Stand der Wissenschaft hätte erkannt werden können. Dabei kommt es nicht auf die Erkennbarkeit des konkreten Fehlers des schadensstiftenden Erzeugnisses, sondern auf die objektive Erkennbarkeit der potenziellen Gefährlichkeit des Produkts, d.h. des mit der gewählten Konzeption allgemein verbundenen Fehlerrisikos an. Zum neuesten Stand der Technik gehören nicht nur die allgemein anerkannten Regeln der Technik bzw. die allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Auch vereinzelte Erkenntnisse können den "Stand" der Wissenschaft und Technik bestimmen. Je schwerwiegender die Gefahren sind, die aufgrund der Minderheitsauffassungen drohen, desto eher ist der Hersteller gehalten, diesen Ansichten nachzugehen.

 

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BGH, Beschluss vom 08.02.2017, XII ZB 604/15 - In dubio pro vita; Zur Bindungswirkung von Patientenverfügungen

 

Eine Patientenverfügung entfaltet nur dann unmittelbare Bindungswirkung, wenn sie neben den Erklärungen zu den ärztlichen Maßnahmen, in die der Ersteller einwilligt oder die er untersagt, auch erkennen lässt, dass sie in der konkreten Behandlungssituation Geltung beanspruchen soll.

 

Die schriftliche Äußerung, dass "lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben" sollen, enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung notwendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen.

 

Die erforderliche Konkretisierung kann sich im Einzelfall auch bei nicht hinreichend konkret benannten ärztlichen Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Der Wille des Errichters der Patientenverfügung ist dann durch Auslegung der in der Verfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln (im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - FamRZ 2016, 1671).

 

Quelle: Pressemitteilung BGH

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OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 31.1.2017 – 8 U 155/16
560.000 EUR Schmerzensgeld bei Schwerstbehinderung und Zerstörung der Persönlichkeit


Der Kläger wurde in der Nähe seines Fahrrades liegend von einem Passanten aufgefunden; er wurde mit einem Rettungswagen in das A-Krankenhaus in Stadt 1 dessen Trägerin die Beklagte zu 1. ist, verbracht. Der Kläger war stark alkoholisiert und hatte ein Schädelhirntrauma erlitten, das von den Beklagten zu 2. – 5., angestellten Ärzten der Beklagten zu 1., nicht erkannt wurde. Am 18.8.2002 gegen 18.30 Uhr wurde eine Verschlechterung des Gesundheitszustands und des neurologischen Status des Klägers festgestellt. Anhand einer daraufhin in einer anderen Klinik der Beklagten zu 1. erstellten cranialen Computertomographie wurden ein Schädelhirntrauma mit Blutung im Frontalhirn und Blutungen in beiden Marklagern diagnostiziert; der Kläger wurde in die neurochirurgische Klinik des B-Klinikums in Stadt 1 verlegt. Im Verlauf der dort durchgeführten Operation stellten die Ärzte eine mehrfragmentäre Schädelkalottenfraktur fest; sie diagnostizierten ein Schädelhirntrauma mit bifrontalen Kontusionsblutungen, generalisiertem Hirnödem, traumatischer SAB (Subarachnoidalblutung) und Hydrocephalus internus.

 

Der Kläger leidet unter schwersten körperlichen und gesundheitlichen Dauerschäden, wie sie in den erstinstanzlich erstatteten Gutachten des Sachverständigen sowie in den ärztlichen Berichten der Fachärzte für Allgemeinmedizin geschildert worden sind.

 

Das Landgericht hat die Beklagten durch Urteil vom 29.6.2016 als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 560.000.- € nebst gesetzlicher Zinsen seit dem 24.5.2005 zu zahlen; es hat die Feststellung getroffen, dass die Beklagten dem Kläger gesamtschuldnerisch haftend zum Ersatz gegenwärtiger und künftiger materieller Schäden sowie künftiger immaterieller Schäden aus Schadensereignissen vom 17. und 18.8.2002 verpflichtet seien. Des Weiteren sind die Beklagten als Gesamtschuldner zur Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten verurteilt worden.

 

Das OLG entschied: Die Festsetzung des Schmerzensgeldes mit 560.000.- € ist nicht zu beanstanden. Für die Höhe des Schmerzensgeldes ist primär das Ausmaß der konkreten Beeinträchtigungen maßgebend, wobei an die Funktionen des Schmerzensgeldes anzuknüpfen ist, die wegen der Unmöglichkeit der tatsächlichen Wiedergutmachung in einem Ausgleich der Lebensbeeinträchtigung, des Weiteren auch in einer Genugtuung für das zugefügte Leid bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 13.10.1992, VI ZR 201/91, juris Rn 25; NJW 1993, 781 ff), soweit die dem Genugtuungsgedanken zugewiesenen Funktionen nicht ohnehin dem Ausgleichsgedanken zuzuordnen sind (vgl. Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 8. Aufl. 2016, Rn 1041 ff).

 

Die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes erfordert nicht, dass der Verletzte diese Funktion erfassen kann. Vielmehr ist in Fällen der mehr oder weniger weitgehenden Zerstörung der Persönlichkeit, dem Verlust an personaler Qualität infolge schwerer Hirnschädigung, hierfür ein eigenständig zu bemessender Ausgleich zu gewähren (BGH, Urteil vom 16.2.1993, VI ZR 29/92, juris Rn 12, 13; NJW 1993, 1531 ff). Die besondere Schwere des Eingriffs besteht gerade in der Verletzung des immateriellen Wertes der Persönlichkeit. Dieser besonders schwerwiegende Verlust sowie körperliche und seelische Schmerzen als Reaktion auf die Verletzung des Körpers und/oder auf die Beschädigung der Gesundheit sind durch ein Schmerzensgeld zu kompensieren. Ein besonderes Bemessungskriterium ist das Alter des Verletzten, denn das Schmerzensgeld knüpft an die Schmerzen und Leiden des Geschädigten an, die umso höher sind, je mehr Leidenszeit ein Verletzter noch zu erdulden hat (vgl. Jaeger/LuckeyRn 1088, 1089). Der Kläger war zur Zeit des ihm durch ärztliche Behandlungsfehler zugefügten körperlichen und seelischen Leides mit nicht reversiblen, schwersten Behinderungen 21 Jahre alt; seine Lebensperspektive ist infolge seiner geistigen und körperlichen Behinderung vollständig zerstört. Bemessungsgrundlage ist auch das Verschulden der Beklagten, denen nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts grobe Behandlungsfehler vorzuwerfen sind.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 20.01.2017, III-1 Ws 482/15 - Kein strafbarer Abrechnungsbetrug bei Delegation von Speziallaborleistungen


Damit der Arzt eine Speziallaborleistung gem. § 4 Abs. 2 S.1 GOÄ als eigene abrechnen kann und sich nicht des Abrechnungsbetruges schuldig macht, muss er bei vollautomatisierten Analysevorgängen nicht ständig zugegen sein, sondern es ist ausreichend, wenn er die Analyseergebnisse persönlich auf ihre Richtigkeit hin untersucht.

 

Im vorliegenden Verfahren ging es um die gegen die Nichteröffnung des Hauptsacheverfahrens vor dem Landgericht gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Das Landgericht hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, da es den hinreichenden Tatverdacht für einen Abrechnungsbetrug durch den Angeschuldigten für nicht gegeben sah. Dieser Auffassung schloss sich der Senat des OLG an. Auch er konnte in den Ermittlungsergebnissen keine hinreichenden Gründe für die Annahme finden, dass der Angeschuldigte bei der Abrechnung von M III-Leistungen (Speziallaborleistungen)  im Tatzeitraum durch Vorspiegelung falscher Tatsachen über abrechnungsrelevante Umstände getäuscht und damit den objektiven Tatbestand des § 263 Abs. 1 StGB erfüllt hat.

 

Etwas anderes hatte das BSG, Urteil vom 13.5.2015 B 6 KA 23/14 R, für ein Zytologisches Labor entschieden. Dieser sah die höchstpersönliche Leistungserbringung bzw. Anwesenheit des Arztes auch bei automatisierten Analysemethoden für die Abrechenbarkeit als erforderlich an. Insofern ist die Art des Labors ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal.

 

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ärztliche Mitglieder einer Laborgemeinschaft die von ihnen veranlassten Untersuchungen des sogenannten „Speziallabors“ (M III des Gebührenverzeichnisses zur GOÄ) selbst abrechnen können, ist seit der zum 1. Januar 1996 erfolgten Änderung des § 4 Abs. 2 GOÄ in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

 

Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 GOÄ kann ein Arzt Gebühren nur für selbständige ärztliche Leistungen berechnen, die er entweder „selbst erbracht“ hat oder die – im Falle zulässiger Delegation auf nichtärztliches Personal – „unter seiner Aufsicht nach fachlicher Weisung erbracht“ wurden (eigene Leistungen). Die für Laboruntersuchungen nach Satz 2 der Vorschrift vorgesehene Möglichkeit, als eigene Leistungen auch solche abzurechnen, die „nach fachlicher Weisung unter der Aufsicht eines anderen Arztes in Laborgemeinschaften“ erbracht werden, hat der Verordnungsgeber im Zuge der Neustrukturierung des Abschnitts M des Gebührenverzeichnisses (Labordiagnostik) zum 1. Januar 1996 auf Untersuchungen des sogenannten „Basislabors“ (M II) beschränkt. Laborleistungen aus dem Bereich des „Speziallabors“ (M III/IV des Gebührensverzeichnisses) kann der niedergelassene Arzt als Mitglied einer Laborgemeinschaft daher nur dann selbst abrechnen, wenn sie sich als eigene Leistungen im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 GOÄ darstellen. Da die in akkreditierten Laboren durchgeführten M III-Analysen – insbesondere diejenigen der hier zur Rede stehenden 23 Parameter des Abschnitts M III – weitestgehend durch nichtärztliches Personal durchgeführt werden, steht hierbei das Merkmal „unter seiner Aufsicht nach fachlicher Weisung“ im Vordergrund. Die Abrechnungsfähigkeit delegierter Leistungen setzt nach dem Willen des Verordnungsgebers eine eigenverantwortliche Mitwirkung des abrechnenden Arztes dergestalt voraus, dass der abrechnende Arzt diesen Leistungen „sein persönliches Gepräge“ gibt; er muss Aufsicht und Weisung so ausüben, dass er seiner Verantwortlichkeit für die Durchführung delegierter Leistungen im Einzelfall auch tatsächlich und fachlich gerecht werden kann (BT-Drucks. 118/88 S. 46).

 

Leistungen Dritter, die der Arzt selbst mangels entsprechender Ausbildung nicht fachgerecht durchführen kann, sind nach der Vorstellung des Verordnungsgebers nicht „nach fachlicher Weisung“ des Arztes erbracht und daher durch ihn auch nicht abrechnungsfähig (BT-Drucks. 118/88 S. 47). Hieraus wird zum Teil die Schlussfolgerung gezogen, dass es für die Abrechenbarkeit von M III-Analysen der berufsrechtlichen Qualifikation zur Erbringung von Laborleistungen nach der (Muster) Weiterbildungsordnung und deren jeweiliger Umsetzung in verbindliches Satzungsrecht auf der Ebene der Landesärztekammern bedürfe[1]. Die Gegenansicht lehnt ein „Fachkundeerfordernis“ in diesem Zusammenhang ab, da dem Arzt aufgrund seiner ärztlichen Approbation die Qualifikation zur Erteilung „fachlicher Weisungen“ im Grundsatz (vorbehaltlich des Nachweises fachlicher Mängel im Einzelfall) nicht abzusprechen sei[2]. Diese Meinung kann beachtliche Gründe für sich in Anspruch nehmen, denn es erscheint in der Tat fernliegend, dass die Bundesregierung als Verordnungsgeber die Abrechenbarkeit ärztlicher Leistungen an den landesrechtlich geregelten Erwerb der jeweiligen Fachkunde knüpfen wollte. Eine derartige Regelungsmotivation dürfte § 4 Abs. 2 Satz 1 GOÄ daher auch für den Bereich „nach fachlicher Weisung“ erbrachter delegierter Leistungen nicht zu entnehmen sein, zumal die Vorschrift an anderer Stelle (nämlich in den Sätzen 3 und 4) den Begriff „Facharzt“ ausdrücklich erwähnt.

 

Hieraus ergibt sich, dass der Angeschuldigte die im Tatzeitraum liquidierten M III-Untersuchungen nicht schon deshalb zweifelsfrei unbefugt abgerechnet hat, weil er (laut Auskunft der Ärztekammer Nordrhein vom 21. April 2015, Bl. 462 Bd. II d. A.) nicht im Besitz einer Fachkunde für Laboratoriumsmedizin oder einer diesbezüglichen Äquivalenzbescheinigung ist.

 

Quelle: Link zur Entscheidung

LG München, Urteil vom 18.1.2017 – 9 O 5246/14

Keine Haftung des Arztes für die Fortsetzung künstlicher Ernährung bei dementem Patienten

 

Wegen der künstlichen Ernährung seines unheilbar kranken und dementen Vaters hat dessen Sohn den behandelnden Hausarzt auf ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 100.000 € sowie auf Schadenersatz in Höhe von mehr als 50.000 € verklagt. Der Patient war mehrere Jahre lang über eine Magensonde ernährt worden und starb 2011. Bereits spätestens ein Jahr zuvor sei die Sonde nicht mehr angemessen gewesen, argumentiert der Sohn; die künstliche Ernährung habe das Leiden des Vaters nur verlängert. Dem Sohn stehe weder unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der ärztlichen Pflichten aus dem Behandlungsvertrag zwischen dem Vater und dem Arzt noch nach Deliktsrecht ein ererbter Haftungsanspruch zu. Zwar habe der Beklagte fehlerhaft nicht auf die spätestens ab Beginn des Jahres 2010 nicht mehr gegebene Indikation für eine Ernährung über die PEG-Sonde hingewiesen: Ist ein über die reine Lebenserhaltung hinausgehendes Therapieziel nicht mehr erreichbar, muss der Arzt eines schwerkranken dementen Patienten dessen Betreuer informieren und mit ihm besprechen, ob die Weiterführung lebenserhaltender Maßnahmen fortgesetzt werden soll; die Verletzung dieser Verpflichtung aus § 1901b Abs. 1 BGB stellt einen Behandlungsfehler dar. Eine Haftung für den Verstoß gegen § 1901b BGB setze voraus, dass die Besprechung zwischen Arzt und Betreuer zu der Entscheidung für einen Behandlungsabbruch geführt hätte. Vermutungsregeln könnten diesbezüglich im fundamentalen Bereich des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen nicht eingreifen.

BGH Urt. v. 17.01.2017 - Az: VI ZR 239/15

Leitsatzentscheidung zur Verjährungshemmung beim Einschalten Schlichtungsstelle bei den Ärztekammern

 

1. Die unwiderlegliche Vermutung des Einvernehmens nach § 15a Abs. 3 Satz 2  EGZPO  (im  Streitfall:  in  der  bis  zum  31.  März  2016  geltenden  Fassung) findet  bei  den  von  den  Ärztekammern  eingerichteten Schlichtungsstellen auch  im  Rahmen  von  § 204  Abs.  1  Nr.  4  BGB  (im  Streitfall:  in  der  bis  zum
25. Februar 2016 geltenden Fassung, im Folgenden: § 204 Abs.1 Nr. 4 BGB aF) Anwendung.

 

2. Macht ein Patient gegen den ihn behandelnden Arzt Schadensersatzansprüche  bei  einer  von  den  Ärztekammern eingerichteten  Schlichtungsstelle  geltend, so setzt der Eintritt der Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4
BGB  aF  nicht  voraus,  dass  sich  der  Arzt  oder  der  hinter  diesem  stehende Haftpflichtversicherer  auf  das  Schlichtungsverfahren  einlässt.  Dies  gilt  auch dann,  wenn  ein  Schlichtungsverfahren  nach  der  Verfahrensordnung  der  jeweiligen Schlichtungsstelle nur dann durchgeführt wird, wenn Arzt und Haftpflichtversicherer der Durchführung des Verfahrens zustimmen.

 

Link zur Entscheidung

OLG Hamm, Urteil vom 17.1.2017 – 26 U 30/16

Klinik haftet nach Fenstersturz einer Patientin

 

Ein Krankenhaus kann gegenüber einer altersbedingt dementen Patientin zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, den die Patientin erleidet, weil sie aus dem ungesicherten Fenster ihres Krankenzimmers in die Tiefe stürzt. Eine stationär in das Krankenhaus der Beklagten aufgenommene demente Patientin mit Weglauftendenzen konnte durch Neuroleptika nicht ruhig gestellt werden und kletterte unbemerkt aus dem Zimmerfenster. Für die unfallbedingte Heilbehandlung und ein Krankenhaustagegeld wandte die Klägerin mehr als 93.000 € auf, die von der Krankenhausträgerin zu ersetzen sind. Letztere habe die Patientin im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren nicht ausreichend vor Schäden und Gefahren geschützt, da die Beklagte das Öffnen des Fensters durch die Patientin hätte verhindern oder diese in ein ebenerdig gelegenes Krankenzimmer verlegen müssen.

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